Dienstag, 15. März 2016

Alles natürlich oder was? Raab Vitalfoods Buchweizenkeimpulver mit B12

Vor einiger Zeit habe ich mit einer guten Freundin ein Gespräch über ein Produkt geführt. Sie bat mich einzuschätzen, was ich von dem Produkt und seinen Versprechen halte. Es handelt sich um das Buchweizenkeimpulver von Raab Vitalfoods. Das Pulver ist rohvegan und behauptet, eine "natürlicher" B12-Quelle zu sein. Dem musste ich nachgehen.

Denn: Buchweizen enthält doch gar kein B12? Und wenn überhaupt, würde es nicht B12-Analoga enthalten?

Der Trick liegt im Herstellungsverfahren

Buchweizen enthält von Natur aus immer noch kein Vitamin B12. Im vorliegenden Falle kann man aber davon ausgehen, dass das Produkt verwertbares B12 enthält, denn die Buchweizenkerne werden in einer B12-Nährlösung zum Keimen gebracht, und nehmen das B12 dadurch auf. Es sind also keine Analoga, sondern verwertbares Cyanocobalamin.
Bereits vor einem knappen Jahr habe ich mich mal mit einer Ringana-Frischepartnerin auf Facebook darüber debattiert, die einer Posterin im Tellerchen-Debattierklub "natürliches" B12 aus Buchweizenkeimen verkaufen wollte. Ich ging davon aus, dass Buchweizen kein B12 enthält, wenn überhaupt höchstens Analoga. In der Diskussion stellte sich dann heraus, dass dieses Produkt durchaus B12 enthält, aber eben: Quinoa und Buchweizen werden durch dieses spezielle Keimverfahren geschleust und erhalten so einen kleinen Anteil B12.
Dies scheint auch beim Produkt von Raab Vitalfoods der Fall zu sein. Das Magazin Vegpool hat mit Andrea Müller, Ernährungswissenschaftlerin und Produktentwicklerin bei der Firma Raab Vitalfoods, ein Interview geführt. Darin sagt die Dame folgendes:
"Buchweizen enthält von Natur aus kein Vitamin B12. Die Buchweizensamen für unser Produkt werden in einem speziellen Verfahren gekeimt und reichern dadurch Vitamin B12 an."
Mensch darf annehmen, dass damit ein ähnliches oder dasselbe Verfahren gemeint ist.

Rohvegan und "natürlich"? Was kann daran denn schlecht sein?

Klingt doch super, oder? Natürliches B12 aus Buchweizenkeimen. Warum sollte man das Produkt nicht nehmen?
Das Produkt ist aus zwei Hauptgründen problematisch und meines Erachtens nicht empfehlenswert:

1) Dosierung: Bei dem erwähnten Produkt Buchweizenkeimpulver von Raab Vitalfoods besteht das Problem meines Erachtens vor allem in der Dosierung. Die von Raab Vitalfoods empfohlene Dosierung beträgt eine "Messerspitze" (0.5g) pro Tag. Gemäss den Angaben auf der Herstellerwebsite enthält diese Portion 2,25 Mikrogramm B12, was 90% des täglichen Bedarfs entsprechen würde. Der tägliche B12-Bedarf eines gesunden Körpers beträgt tatsächlich etwa drei Mikrogramm B12. Je nach Dosis und Verabreichungsform von B12 wird aber nur ein kleiner Anteil des zugeführten B12 vom Körper auch tatsächlich verwertet. Deswegen empfielt eine Reihe von veganen Organisationen wie beispielsweise die Vegane Gesellschaft Schweiz oder das Informationsportal High Five Vegan eine Zufuhr von mindestens 25 Mikrogramm täglich oder die besser geeigneten hochdosierten Präparate von 1000 Mikrogramm aufwärts, die zweimal pro Woche zugeführt werden.
Die Dosierung ist beim erwähnten Buchweizenkeimpulver ungenügend. Veganerinnen und Veganer, die sich nur auf dieses Produkt berufen, geraten in die Gefahr einer Mangelversorgung von B12, wenn sie sich auf die angegebene Dosierung verlassen. Eine höhere Dosierung mit dem Produkt scheint aufgrund der Bitterkeit des Produkts (gemäss Interview) etwas problematisch. Zudem kostet das Produkt mit 20 Euro auch ziemlich viel. Eine Dose Jarrows kostet 15-30 Euro, je nach Dosierung, reicht aber je nach Dosierung für zwei Monate bis hin zu einem ganzen Jahr.

2) Naturalistischer Fehlschluss: B12 wird von Bakterien hergestellt. Immer. Ob nun im Kuhmagen, in der Erde oder im Labor für die Produktion von Vitamintabletten. Bei diesem Produkt nimmt das B12, statt dass es direkt "ab Bakterie" konsumiert wird, einen unnötigen "Umweg" über Buchweizen und verliert dabei einiges an Effizienz und erhöht den Preis massiv. Das Herstellungsverfahren für das Vitamin B12 bleibt dasselbe, ob es nun in die Nährlösung kommt oder in hochdosierte Nahrungsergänzungsmittel. Es wird dann einfach aufwändig und ineffektiv durch Buchweizen "geschleust", um ein angeblich "natürlicheres" Produkt zu bekommen. 

Bei eher ungebildeten oder wenig informierten Personen kann einerseits die Verknüpfung entstehen, dass herkömmliche B12-Präparate irgendwie weniger "natürlich" seien und somit "schlechter". Andererseits kann das zur Schlussfolgerung führen, Buchweizen generell enthalte B12. Mit solchen naturalistischen Fehlschlüssen tut sich die vegane Community generell keinen Gefallen.
(Hier kann nachgelesen werden, worin das "Problem mit der Natürlichkeit" liegt.)

Das Produkt entlarvt sich auch ein wenig selbst, wenn Frau Müller sagt, dass man es aufgrund von geltenden Konventionen nicht als Bio labeln könne, obwohl die Zutaten biologisch angebaut seien. "Das Verfahren der Spezialkeimung" sei nicht biozertifizierbar, sagt sie im Interview. Gemäss aktuell geltendem Recht dürfen biologischen Nahrungsmitteln und verarbeiteten Produkten keine Vitamine beimischt werden. Dass das aktuell geltende Bio-Recht die "Spezialkeimung" von Buchweizen also genauso behandelt wie das reine Zumischen von Vitaminen wie B12, zeigt, dass sich die Vitaminanreicherung à la Nährlösung kaum von der regulären unterscheidet. Von mehr "Natürlichkeit" kann nun wirklich keine Rede sein.

Fazit: Bitter, überteuert, unterdosiert und kaum "natürlicher" als reguläre Supplemente

 

Aus diesen Gründen rate ich davon ab, mit Buchweizenkeimpulver zu supplementieren. Produkte wie "Boost Spray", Sante-Zahnpasta oder Jarrows sind dazu deutlich besser geeignet und sollten eher empfohlen werden.

Wer dieses oder andere angeblich "natürlichere" Produkte empfiehlt, öffnet einerseits dem auch in der veganen Community immer mehr verbreiteten Natürlichkeitsbias Tür und Tor, andererseits öffnet das aber auch Marktlücken für Unternehmen, die diese Fehlschlüsse ausnutzen und mittels angeblich "natürlicherer" Produkte den Leuten unnötig Geld aus der Tasche ziehen und mittels Faktenverdrehung dazu beitragen, dass günstige, einfach erhältliche und zuverlässige Produkte diskreditiert werden und dass Vegane Personen eine Unterversorgung mit B12 riskieren.

PS: Jarrows schmecken nach Kirsche oder Orange. Schmeckt eh viel besser als "bitter".

PPS: Möchtest du mehr Informationen und Erklärungen zum wichtigen Vitamin B12, der optimalen Dosierung und empfohlenen Produkten? High Five Vegan bietet dir meines Erachtens die beste Übersicht.
Du kannst mir auch eine eMail unter rationalvegan(ät)gmx.ch schreiben.

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